Aus- und Weiterbildung

Fortsetzung des Berufsbildes des BGSD [erster Teil s. Rubrik Berufsstand und Ethik (Kapitel 3) oder im kompletten Berufsbild als pdf-Datei.]

Quelle: BGSD-Broschüre, 2002 (s. auch Das Zeichen, 16. Jg., Nr. 60, Juni 2002, S. 248-255)

Berufsvoraussetzungen

Für die Tätigkeit des Gebärdensprachdolmetschens gibt es keinen einheitlichen Zugang. Die Qualifikation für die Ausübung dieser Tätigkeit kann unterschiedlich nachgewiesen werden, wobei qualitativ graduelle Unterschiede festzustellen sind.

Es besteht keine gesetzliche Regelung der Berufsausübung für Gebärdensprachdolmetscherinnen, auch ist die Berufsbezeichnung nicht gesetzlich geschützt, weshalb sie allein kein Indiz für Qualität ist. Gegen eine unberechtigte Führung des akademischen Grades Diplom-Gebärdensprachdolmetscherin / Diplom-Gebärdensprachdolmetscher, der nur von Hochschulen verliehen werden darf, bzw. des Titels staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin / staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher gibt es jedoch einen strafrechtlichen Schutz.

Fähigkeiten

Gebärdensprachdolmetscherinnen benötigen übersetzerische Kompetenzen sowie sprachliche und fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Sprachbegabung bzw. die Beherrschung des Deutschen und der Deutschen Gebärdensprache ist zwar Voraussetzung für ein effektives und effizientes Dolmetschen, sprachliches Wissen allein ist jedoch nicht ausreichend, um dolmetschen zu können. Über die traditionellen einzelsprachlichen Fähigkeiten (Hörverständnis und Sprechfertigkeit / Sehverständnis und Gebärdenkompetenz bzw. Leseverständnis und Schreibfähigkeit) hinaus sind weitere Fähigkeiten unabdingbar, die unter dem Begriff übersetzerische Kompetenz zusammengefasst werden. Hierzu gehören:

  • Translatorisches Wissen (auch prozessuales Wissen)
  • Fachwissen bzw. Sachverhaltswissen
    Dieses Wissen eignet sich die Dolmetscherin im Laufe ihrer Ausbildung sowie ihrer beruflichen Tätigkeit an.
  • Kulturelles Wissen
    Umfassende Kenntnisse der Kultur und Lebensweise der hörenden Mehrheit sowie der Gewohnheiten, Besonderheiten und Lebensweise der Gebärdensprachgemeinschaft.

Der Begriff translatorisches Wissen umfasst das Erkennen von Text- bzw. Redestrukturen und ‑funktionen und den Transfer derselben in die Zielsprache sowie die Beherrschung von Strategien (Umgang mit Störeinflüssen etc.) bzw. Methoden und Techniken (simultan und konsekutiv dolmetschen etc.).

Darüber hinaus wird eine spezifische Begabung für das Simultandolmetschen benötigt, die durch spezielle Ausbildung und intensives Training zu einer praxistauglichen Kompetenz entwickelt werden kann. Diese spezifische Begabung beinhaltet die Fähigkeit zur unmittelbaren Umwandlung von in einer Sprache gesprochenen bzw. gebärdeten Mitteilungen (wobei ein antizipatorisches Erkennen von syntaktischen Strukturen und Sinnzusammenhängen nützlich ist), ein hohes Konzentrationsvermögen, schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis, Redegewandtheit, umfassende Allgemeinbildung, gute Stimmtechnik und ‑modulation sowie sicheres und gewandtes Auftreten in der Öffentlichkeit. Da Gebärdensprachdolmetscherinnen zumindest für die gehörlosen Rezipienten sichtbar sein müssen, befinden sie sich permanent mitten im Geschehen. Deshalb ist die zuletzt genannte Kompetenz von besonderer Bedeutung: Der erhöhten Aufmerksamkeit, die Gebärdensprachdolmetscherinnen auf Grund ihrer ungewöhnlichen und stets sichtbaren Tätigkeit oft entgegengebracht wird, muss souverän begegnet werden. Ebenso muss der zusätzliche Stress, der durch die unmittelbare Nähe zum Geschehen entstehen kann, unbemerkt bewältigt werden.

Weil Dolmetscherinnen überwiegend an wechselnden Orten zum Einsatz kommen, unregelmäßige Arbeitszeiten haben und sich fortwährend auf unterschiedliche Situationen und Gesprächsteilnehmer einstellen müssen, sollten sie über ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität verfügen. Sie sind einer hohen psychischen und physischen Belastung ausgesetzt, weshalb eine gute Gesundheit und Kondition sowie ein hohes Leistungsvermögen unabdingbar sind.

Da Gebärdensprachdolmetscherinnen in der Regel in Teams arbeiten, wobei sie sich gegenseitig unterstützen und nach einem vorher vereinbarten Zeitturnus abwechseln, sollten sie außerdem über Teamfähigkeit sowie Kritik- und Konfliktfähigkeit verfügen.

Aus den beiden zuvor genannten Gegebenheiten ergibt sich die Notwendigkeit guter organisatorischer und koordinatorischer Fähigkeiten.

Um die verantwortungsvolle Tätigkeit auf einem hohen Niveau ausüben zu können, werden außerdem ein hohes Maß an intellektueller Neugier, Kreativität, abstrakt-logischem Denken und Bereitschaft zu lebenslangem eigeninitiativem Lernen benötigt.

Die Gebärdensprachgemeinschaft ist eine sehr kleine, überschaubare Gemeinschaft, in der Informationen schnell von einem zum anderen gelangen. Gebärdensprachdolmetscherinnen sollten deshalb mit dem aus vielfachen Dolmetschsituationen erworbenen Wissen über Personen und Sachverhalte überaus diskret umgehen.

Das Dolmetschen in einzelnen Bereichen stellt darüber hinaus spezielle Anforderungen an die jeweilige Dolmetscherin:

  • Beim Konferenzdolmetschen werden hohe sprachliche und fachliche Anforderungen gestellt. Es wird die Fähigkeit vorausgesetzt, sich innerhalb kürzester Zeit auf der Grundlage von Kongressunterlagen und Fachliteratur in neue Gebiete einzuarbeiten. Da unmöglich im gesamten Wissensspektrum eine gute Dolmetschqualität geboten werden kann, erfolgt häufig eine Spezialisierung auf bestimmte Themengebiete. Die Anforderungen beim Dolmetschen im Bildungsbereich und im Arbeitsleben bzw. der freien Wirtschaft sind vielfach ähnlich.
  • Beim Gerichtsdolmetschen ist eine breite Allgemeinbildung ebenso wichtig wie forensische Grundkenntnisse sowie die Kenntnis der juristischen Terminologie in beiden Arbeitssprachen. Daneben sind häufig Fachkenntnisse in anderen Gebieten erforderlich (Technik, Medizin o. ä.), so dass auch hier intensive Vorbereitung wie z. B. Aktenstudium betrieben werden muss.
Weiterbildung

Eine ständige Fort- und Weiterbildung auch nach Abschluss einer Ausbildung ist für Gebärdensprachdolmetscherinnen unabdingbar.

Um den komplexen Anforderungen sowie den wechselnden Themen bei unterschiedlichen Einsätzen gewachsen zu sein, muss sich die Dolmetscherin in sachlicher und sprachlicher Hinsicht ständig auf dem Laufenden halten.

Auch der Umgang mit neuen technischen Medien muss fortlaufend geübt und erweitert werden.

Arbeitsmittel, Verfahren und technische Ausstattung

Für die Recherche und Vorbereitung im Zusammenhang mit einzelnen Aufträgen, also die zielgerichtete Beschaffung von Informationen und Fachwissen, kann die Gebärdensprachdolmetscherin auf Fachliteratur, Enzyklopädien, ein- und mehrsprachige Wörterbücher, terminologische und sonstige Datenbanken zurückgreifen. Für den gebärdensprachlichen Bereich gibt es insgesamt nur wenig Materialien. Es liegen jedoch Bildwörterbücher zum Grundvokabular sowie mehrere Fachgebärdenlexika vor. Zur Erweiterung des Gebärdenschatzes können diverse CD-ROMs sowie Videos genutzt werden.

Auf Grund der fehlenden bzw. eingeschränkten Auswahl an Arbeitsmitteln im gebärdensprachlichen Bereich ist ein permanenter Kontakt zu kompetenten Gebärdensprachlern zu empfehlen.

In der Zukunft wird die (digitale) Video- und Bildbearbeitungstechnik zunehmend relevant werden; der Umgang mit derartiger Technik erfordert ein spezielles Knowhow. Diese Art von Verfahren könnte z. B. bei der Übersetzung von schriftsprachlichen Texten in Deutsche Gebärdensprache und umgekehrt oder aber bei der Erstellung von Untertiteln zu Filmen in Gebärdensprache eingesetzt werden.

Auch für Gebärdensprachdolmetscherinnen spielt der Computer eine wichtige Rolle. Er findet nicht nur bei der Verwaltung des individuellen Kundenstammes, der Bearbeitung der Geschäftskorrespondenz und der Erstellung von Texten Anwendung, sondern kann zur Recherche (Internet), zum Austausch (Fax, E-Mail, Bildkonferenz) und zur Nutzung von Datenbanken verwendet werden.

Gebärdensprachdolmetscherinnen sollten über weitere technische Kommunikationsmedien (wie Fax, Bildtelefon, Video etc.) verfügen.

Zukunftsperspektiven

Die Lebenssituation gehörloser Menschen in Deutschland befindet sich in ständiger Veränderung und Entwicklung (Verbesserung und Neuentwicklung medizinisch-technischer Hilfen, Veränderung der Bildungssituation Gehörloser, neue Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien, gesetzliche Veränderungen sowie zunehmende Globalisierung und internationaler Austausch). Hierdurch wandeln sich auch die Bereiche und Situationen, mit denen Gebärdensprachdolmetscherinnen konfrontiert werden: Ansprüche an das Verhalten, die Fähigkeiten und Kenntnisse von Dolmetscherinnen werden sich verändern bzw. erhöhen, technisches Wissen wird in Zukunft eine größere Rolle spielen und eine Erweiterung der Einsatzbereiche ist bereits jetzt abzusehen. Die politische Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache wird diesen Wandel voraussichtlich noch forcieren. Um konstant eine qualitativ hochwertige Leistung erbringen zu können, ist eine ständige Auseinandersetzung mit den hier genannten Veränderungen sowie eine Anpassung an dieselben unabdingbar. Bereiche, die in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden sollen, sind:

  • Ausbau der wissenschaftlichen Grundlagen (linguistische und translationswissenschaftliche Forschung zur Gebärdensprache bzw. zum Gebärdensprachdolmetschen)
  • Ausbau und Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsprogramme
  • Entwicklung von Qualitätsstandards
  • Vergrößerung des Spektrums der Einsatzbereiche
    (damit verbunden evtl. verstärkte Spezialisierung sowie Bereitschaft zur Aneignung neuer, zusätzlicher Inhalte. Sinnvoller Einsatz von Zusatzqualifikationen wie frühere Berufsausbildung, Studium einer anderen Fachrichtung etc.)
  • Aneignung von Wissen über kommunikationstechnische Neuerungen und deren Anwendung (evtl. Veränderung traditioneller Arbeitsweisen, ‑techniken und Rahmenbedingungen wie Dolmetschen am Bildtelefon etc.)
  • Entstehung und Verbreitung von Mischberufsfeldern
  • Vermehrter Einsatz von Relais-Dolmetscherinnen

Es ist davon auszugehen, dass bei zunehmender Differenzierung der Eingangsvoraussetzungen in den Beruf in Zukunft gestufte Vergütungsmodalitäten und damit unterschiedliche Einkommensverhältnisse eintreten werden.

[Ende des Zitats aus dem Berufsbild des BGSD (s. auch das komplette Berufsbild als pdf-Datei).]

Abschlüsse und Titel

Historie & rechtlicher Status

Die Berufsbezeichnung Gebärdensprachdolmetscher/-in ist in Deutschland nicht geschützt. Weil sich also theoretisch jeder so nennen kann, wird seit einiger Zeit insbesondere von Kostenträgern verstärkt darauf geachtet, ob ein berufsqualifizierender Abschluss erworben wurde. Dies kann auch für die Übernahme der Kosten für Dolmetscheinsätze oder die Höhe einer anteiligen Bezuschussung relevant werden.

Ausbildungsgänge und Abschlüsse

In Deutschland gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten für Gebärdensprachdolmetscherinnen:

Fundierte Ausbildungsangebote mit dem Berufsziel Gebärdensprachdolmetscher/-in gibt es in Deutschland erst seit Anfang der 1990er Jahre. Am Institut für Deutsche Gebärdensprache der Universität Hamburg wurde 1992 als erste grundständige Ausbildung in Deutschland ein von der Bundesrepublik Deutschland und der Freien und Hansestadt Hamburg finanziell getragenes Pilotstudium mit zwei Durchgängen ins Leben gerufen. Zum Wintersemester 1996/97 wurde dieser Diplomstudiengang als Regelstudium an der Universität Hamburg fest installiert. Zum Wintersemester 1997/98 wurde ein zweiter Studiengang an der Fachhochschule Magdeburg eingerichtet. Inzwischen haben sich weitere akademische und andere Angebote etabliert: Beispielsweise an der Fachhochschule Zwickau, der Universität Köln, der Universität Berlin, der Hochschule Landshut, Hochschule Idstein sowie an der Universität Hamburg ein berufliche Weiterbildung für taube Gebärdensprachdolmetscher/innen.

Darüber hinaus bieten einige private Sprachenschulen und ‑institute sowie sonstige Einrichtungen Ausbildungen für Gebärdensprachdolmetscherinnen an, die in Niveau und Qualität äußerst unterschiedlich ausfallen und von den einschlägigen Verbänden sowie Kostenträgern nicht in jedem Fall anerkannt werden.

Die Eingangsvoraussetzungen für die unterschiedlichen Ausbildungsgänge variieren und können bei den jeweiligen Ausbildungsstätten erfragt werden. Eine aktuelle Liste der vom Bundesverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands e.V. anerkannten Ausbildungsstätten kann über die Geschäftsstelle angefordert werden.

Unabhängig von einer Ausbildung gibt es die Möglichkeit, einen Qualifikationsnachweis bei einem staatlichen Prüfungsamt zu erwerben. Erfolgreiche Absolventinnen der Prüfung sind berechtigt, den Titel staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin / staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher zu führen.

Im Nachfolgenden sollen die zurzeit in Deutschland möglichen Arten eines Berufsabschlusses bzw. die entsprechenden Berufsbezeichnungen skizziert werden.

Berufsbezeichnungen

Je nach Ausbildungsgang können unterschiedliche berufsqualifizierende Abschlüsse erworben werden. Wer an einer Hochschule ein Studium erfolgreich durch Bestehen der Diplomprüfung abgeschlossen hat, ist berechtigt, den Titel

zu führen; dies ist trifft für Hamburg zu. Diejenigen Diplome, die an einer Fachhochschule erworben wurden (Magdeburg und Zwickau), tragen einen Klammerzusatz:

Soweit an der Universität ein Bachelor-Studiengang eingerichtet ist, kann bereits nach kürzerer Studiendauer ein kleinerer Abschluss erworben werden. Nach bestandener Bakkalaureatsprüfung wird dort der akademische Grad

verliehen. Es besteht neuerdings auch die Möglichkeit, sich in einem postgradualen, aufbauenden Studium weiterzuqualifizieren und den Abschluss

zu erlangen. Neben den Hochschul-Studiengängen gab es spezielle Ausbildungsgänge mit einer Ausrichtung auf den Bereich Wirtschaft und Technik, die mit einer Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer endeten. Mit bestandener Prüfung ist man zum Führen der Berufsbezeichnung

berechtigt. Außerdem wurden eine Anzahl von berufsbegleitenden bzw. Vollzeit-Ausbildungen angeboten, die auf die Staatliche Prüfung in Darmstadt oder – für bayerische Ausbildungen – in Nürnberg vorbereiten. Dort erhält man den Titel

Für die Prüfung in Darmstadt haben sich durch Rechtsverordnung vom 21. Juli 2010 (s. Verordnung über die Staatliche Prüfung für Übersetzerinnen und Übersetzer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Dozentinnen und Dozenten für Deutsche Gebärdensprache (DGS) und Untertitlerinnen und Untertitler für deutsche Sprache in Hessen (ÜDPVO); in Kraft getreten am 16. September 2010) Neuerungen ergeben. Die danach neuen Berufsbezeichnungen heißen (je nach Sprachenwahl):

Für die Staatlichen Prüfungen ist eine Ausbildung nicht zwingend erforderlich; es genügt – neben der gegebenenfalls notwendigen Berufspraxis – eine hinreichende Vorbereitung in Eigenregie. Vor allem ging es dabei darum Dolmetschern einen Abschluß zu ermöglichen, die bereits vor Einrichtung der ersten Dolmetscherausbildungen aktiv waren.

Wer ein akademisches Diplom erworben hat, kann sich nach Entrichtung einer Bearbeitungsgebühr und Erhalt einer entsprechenden Urkunde zudem als staatlich geprüft bezeichnen (Gleichwertigkeitsfeststellung). Der Grund für eine Gleichstellung ist allerdings kaum ersichtlich, zumal das Darmstädter Amt für Lehrerausbildung (heute: Hessische Lehrkräfteakademie) selbst sagt, die Staatliche Prüfung sei neben den an Universitäten oder Fachhochschulen in Deutschland abzulegenden Diplomen als Berufseingangszertifikat […] anzusehen